Die letzte Begegnung

 

Luise von La Vallière tritt nach 13 Jahren als Geliebte am Hof von König Ludwig XIV. ins Kloster der Unbeschuhten Karmelitinnen ein und trägt nunmehr den Namen Schwester Luise von der göttlichen Barmherzigkeit. Dort wird sie nach vielen Jahren von ihrer einstigen Kontrahentin, der Marquise Athénais de Montespan, aufgesucht, die vom König inzwischen verstoßen worden ist und glaubt, für ewig verdammt zu sein. Bei dieser Begegnung aber wird die frühere Rivalität wieder wach. Die Marquise, die eigentliche Absicht ihres Besuchs vergessend, erinnert triumphierend an die Stunde der Demütigung und Niederlage, die sie Luise von La Vallière seinerzeit zugefügt hat. Diese jedoch sieht in dem damaligen Geschehen die Stunde ihrer eigenen Läuterung und betont: „Wir waren Schwestern auf dem Wege der Sünde, wir werden auch Schwestern auf dem Wege des göttlichen Erbarmens sein.“ Die Montespan hingegen legt es darauf an, ihre Rivalin weiter zu demütigen und in Tränen zu versetzen, und verlangt sogar, dass diese den Schleier anhebe, um sich am tränenüberströmten Gesicht der Ordensfrau weiden zu können. Der Anblick lässt die Marquise zusammenbrechen: „Retten Sie mich, Luise, retten Sie mich, ich bin eine Verlorene, ...“ Und sie gesteht, damals Luise sogar nach dem Leben getrachtet zu haben. Die Unterredung der beiden Frauen endet damit, dass Luise betont, es gebe eine Gemeinschaft zwischen Sündern und Gerechten, denn es gebe keine Gerechten. Wenn sie unwissentlich an der Schuld der Montespan teilhabe, dann habe diese auch unwissentlich an ihrer Liebe teil. „Lassen Sie uns Schwestern bleiben, Athénais“ sind ihre letzten Worte, bevor die Montespan mit tränenüberströmtem Gesicht schweigend geht.
„Wenn eine Seele nicht mehr an die göttliche Erbarmung glauben kann, dann muss der Mensch die göttliche Erbarmung übernehmen. Aber dazu muss er auch bereit sein, fremde Schuld mitzutragen.“

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